Barrierefreies Internet und Usability (2025): Gespräch mit UX-Designerin Beate Öttl
Barrierefreiheit: Das Stichwort haben wir vermutlich alle schon mal gehört. Gut so. Noch besser: Barrieren tatsächlich aus dem Weg räumen – und zwar nicht nur in der „echten“, sondern auch in der digitalen Welt.
Wie genau lässt sich das umsetzen? Was macht barrierefreies Webdesign aus? Und wie läuft das mit der gesetzlichen Pflicht für barrierefreie Websites ab Juni 2025 – am besten gleich jetzt schon in Panik verfallen?
Diese und andere Fragen habe ich an die UX-Designerin meines Vertrauens weitergegeben: Beate Öttl von studio craft design. Danke, liebe Beate, dass du dein Wissen mit uns teilst!

Inhaltsverzeichnis
Wer, wie, was: Definition und Barrieren im Internet
Was bedeutet Barrierefreiheit im Internet?
„Grundsätzlich geht es bei Barrierefreiheit darum, Produkte für alle Menschen zugänglich und benutzbar zu machen. Bei der digitalen Barrierefreiheit bezieht sich das eben auf digitale Produkte, also z. B. Anwendungen wie Websites oder Softwares.“
Welche Barrieren gibt es im Internet überhaupt?
„Da gibt es ganz unterschiedliche Einschränkungen, aber viele davon hat man gar nicht unbedingt auf dem Schirm. Bei „Barrieren“ denkt man zuerst an blinde oder gehörlose Menschen. Allerdings gibt es auch situative, nicht permanente Einschränkungen: wenn ich zum Beispiel draußen von der Sonne geblendet werde, oder wenn ich ein Kind auf dem Arm habe.
Genauso kann es für Menschen mit Epilepsie eine Barriere sein, wenn auf einer Website viele flackernde Elemente sind. Oder noch ein Beispiel: Für (u. a.) ältere Menschen oder Personen mit kognitiven Einschränkungen kann es ein Hindernis sein, wenn Inhalte sehr kompliziert gestaltet sind. Also so, dass man sie sich nicht gut merken kann oder die Wahrnehmung stark abgelenkt wird.“
It's the law! Pflicht für barrierefreie Websites und (mögliche) Strafen
Ab 28. Juni 2025 ist eine barrierefreie Website Pflicht. Bevor wir alle ins Schwitzen kommen: Für wen gilt das Gesetz?
„Keine Panik, das heißt in erster Linie: Produkte, die neu auf den Markt kommen, müssen direkt die Standards erfüllen. Für alle anderen gibt es eine Übergangsfrist von bis zu 5 Jahren. Und ganz ausgenommen von dem neuen Gesetz sind alle Unternehmen mit unter 10 Angestellten und einem Jahresumsatz unter 2 Millionen.
Die Grundsatzfrage ist natürlich: Wer kontrolliert das überhaupt und/oder straft ab? In Österreich ist es so, dass das Sozialministeriumservice Kontrollen durchführen wird. Die Strafen sind zunächst mal eine Ermahnung, die Mängel zu beheben. Die Geldstrafen können dann bis zu 80.000 € hoch sein.“
Was ist deine Einschätzung zu Strafen für nicht barrierefreie Websites?
„Ich glaube, diese neue Regelung bietet nicht zwingend genug Motivation, barrierefreie Maßnahmen umzusetzen. Eigentlich sollte doch die soziale Verantwortung den stärkeren Ausschlag geben. Für viele Unternehmen ist Corporate Social Responsibility (CSR) auch ein großes Thema.
Es macht ja auf jeden Fall Sinn, barrierefreie Produkte anzubieten. Schon allein, weil von diesen Barrieren unglaublich viele Menschen betroffen sind. In Deutschland z. B. leben 7,8 Millionen Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung und sind auf digitale Barrierefreiheit angewiesen. Da sind die Personen mit situativen Einschränkungen (wie z. B. einem eingegipsten Arm) noch gar nicht eingerechnet.“
Barrierefreies Webdesign umsetzen – wie denn jetzt?
Barrierefreie Farbgestaltung
Wie können wir denn konkret dazu beitragen, dass im Web Barrierefreiheit herrscht? Anfangen z. B. mit dem Thema barrierefreie Farben …
„Eine sehr wichtige Rolle spielt da das Kontrastverhältnis. Das kannst du mit einem Contrast-Checker-Tool überprüfen, der an den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) ausgerichtet ist.
Bei Kontrasten hilft es generell, für den Text eine Hintergrundfarbe zu haben und die Textgröße entsprechend anzupassen. In den WCAG-Guidelines gibt es Abstufungen, wie groß die Schriftgröße je nach Farbe mindestens sein soll.
Man sollte sich einfach immer anschauen, wie eine fehlsichtige Person etwas sieht. Auch das kann man mit Browser-Erweiterungen checken. Und sieht dann z. B., dass aus Rot-Grün für manche Menschen eher Matschbraun wird.“
Barrierefreie Schrift
Wie sieht es bei der Gestaltung von Texten aus, Stichwort barrierefreie Schrift?
„Wie gesagt, die Schriftgröße sollte schon mal zur gewählten Farbe bzw. dem Kontrast passen. In der Regel gelten mindestens 14 pt und Flattersatz als Empfehlung.
Was die Fonts angeht, sind Serifen bei Onlinetexten generell eher schwierig. Es kommt aber auch auf die Website an, z. B. bei Zeitungen ist so eine Schriftart natürlich oft stark an die Identität geknüpft. Ich würde sagen, bei plakativen, großen Überschriften ist eine Serifenschrift schon okay. Im Fließtext ist eine serifenlose Schrift besser.“
Warum ist Blocksatz nicht empfohlen?
„Im Blocksatz wird der freie Platz am Ende einer Zeile zwischen allen anderen Wörtern aufgeteilt. Dadurch entstehen teilweise unnatürliche Abstände bzw. sehr große Lücken. Das erschwert einfach die Lesbarkeit.“
Videos barrierefrei gestalten
Ohne Video-Content geht es ja mittlerweile gefühlt nicht mehr. Was ist da in Sachen Barrierefreiheit zu beachten?
„Ganz wichtig sind natürlich Untertitel (Closed Captions). Die sollten groß genug und gut lesbar sein, also z. B. nicht von der Beitrags-Caption überdeckt werden. Generell würde ich alles vermeiden, was potenziell sehr aufregend oder sogar erschreckend sein kann: viele Schnitte, sehr laute Musik usw.
Mir persönlich kommt es so vor, als müsste alles immer noch schneller werden. Auch Atempausen werden mittlerweile oft rausgeschnitten. Aber ob das so gewollt ist, hängt selbstverständlich vom Zielpublikum ab.
Insgesamt ist die barrierefreie Variante oft einfach für alle angenehmer. Wenn ich eine gute Audio- und Bildqualität habe, z. B. durch ausreichende Belichtung – das schaut sich doch jeder Mensch lieber an.“
Tipps für Barrierefreiheit auf der technischen Ebene
Wenn ich jetzt Schriftart, -farbe-, größe usw. optimal angepasst habe: Was kann ich sonst noch umsetzen, z. B. auf der technischen Ebene?
„Da braucht es auf jeden Fall Alt-Texte für Bilder. Das heißt, sobald ein Bild oder eine Grafik wichtige Informationen enthält, sollte ich die zusätzlich als Text zur Verfügung stellen. Bei rein illustrativen Bildern ist das nicht so entscheidend.
Außerdem sollte die Überschriftenstruktur schon klar gegliedert sein, also in HTML formatiert und nicht nur gefettet oder so.
Grundsätzlich würde ich sagen: Wenn eine Website eine korrekte HTML-Struktur, ausreichende Kontraste, sinnvolle Schriftgrößen usw. hat, dann kann eh schon nicht mehr so viel schiefgehen. Und das sind ja alles Dinge, die man (u. a.) auch aus SEO-Sicht vermutlich sowieso umsetzt.“
Keine halben Sachen: Websites auf Barrierefreiheit testen
Asking for a friend: Kann ich meine Website irgendwo testen lassen, wie gut sie in Sachen Barrierefreiheit abschneidet?
„In den Google Page Speed Insights bzw. der Entwicklungskonsole gibt es mit Lighthouse ein ganz gutes Scoring.
Alternativ liefern einige Komplettanbieter wie z. B. accessiBe kostenpflichtige Integrationen. Damit sollen User*innen sich ihre Website so einstellen können, wie sie es brauchen. Ehrlicherweise halte ich aber nicht so viel von solchen Lösungen. Die meisten Unternehmen sind davon einfach überfordert und könnten die wichtigsten Punkte auch ganz ohne solche Tools umsetzen.
Es ist ein bisschen wie mit Sicherheits-Plugins. Auch da gibt es zig Lösungen, die am Ende oft ein falsches Sicherheitsgefühl vermitteln – obwohl die Plugins teilweise ihre Nachteile haben und z. B. die Performance negativ beeinflussen. Das Gefühl, eh alles gemacht zu haben, kann dazu führen, dass man manche Sachen nicht (mehr) auf dem Schirm hat.“
Was macht eine „gute Website“ aus?
Wir haben gerade viel über Barrierefreiheit geredet, aber auch abseits davon: Wann findest du als UX-Designerin eine Website gut gemacht?
„Die Hauptmerkmale für Qualität sind aus meiner Sicht: klare Botschaften im Content und eine klare (Überschriften-)Struktur.
Generell schaue ich mir immer an, wie vertrauenswürdig eine Website ist. Gibt es authentisches Bildmaterial? Gibt es weitere Trust-Signale wie etwa Bewertungen, Referenzen, Kontaktdaten, ein Impressum – solche Sachen.
Und als UX-Designerin schaue ich natürlich außerdem auf das Visual Design: gibt es eindeutige optische Hierarchien? Ist klar ersichtlich, welche Aktionen ich als Userin als Nächstes ausführen kann? Und so weiter.“
Und was geht gar nicht in Sachen UX? Was lässt dich schreiend davonlaufen?
„Was gar nicht geht: ‚Herzlich willkommen‘ auf der Startseite! [lacht] Das habe ich aber ehrlicherweise schon lang nicht mehr gesehen.
Slider sind auch so eine Art Endgegner für mich. Und: Teilweise sieht man auf Websites zu viel Werbung. Ich wollte zum Beispiel neulich einen Blogartikel dazu lesen, wie man das Arbeitsumfeld produktiver gestalten kann. Die Seite war aber so voll mit Werbung, dass es unmöglich war, den eigentlichen Content zu konsumieren.“
Für alle, die mehr über Barrierefreiheit und UX lernen wollen: Wo kann man dir folgen?
„Mich findet ihr auf LinkedIn und YouTube. Und in meinem Newsletter ‚Design and Beyond‘ teile ich meine Gedanken rund um alle möglichen UX-Themen.“
Ohne Video-Content geht es nicht, habe ich vorhin geschrieben – in diesem Sinn, hier kannst du dir Beates wichtigste Punkte nochmal in Ruhe anschauen:
(Eine Art) Fazit: Ein paar Abschlussgedanken meinerseits
Wenn das hier ein Podcast wäre, gäbe es jetzt nach dem Interview einen Cut und ich würde in die Nachbesprechung gehen. Ist es nicht, aber ein paar Gedanken will ich trotzdem hinterherschicken – hier also die schriftliche Variante.
Mir sind bei dem Thema nämlich ein paar Dinge durch den Kopf gegangen.
#1 Barrieren, überall Barrieren!
Beate hat es im Interview gesagt: Barrieren müssen in vielen Fällen gar nicht unbedingt permanent sein. Genau diese vorübergehenden Einschränkungen sind aber im Hinterkopf längst nicht so präsent wie Gehörlosigkeit o. Ä. Umso wichtiger ist es, doppelt und dreifach zu überlegen: Habe ich vielleicht irgendwas übersehen?
Ich muss mich als Texterin z. B. immer wieder an der eigenen Nase fassen und mich fragen: Geht der Satz nicht einfacher? Muss diese eine Aussage nicht doch woanders hin, damit sie nicht untergeht? Auch das läuft am Ende wieder auf Barrierefreiheit hinaus: Wenn ich es unnötig kompliziert mache, treffe ich damit die Entscheidung, u. a. Menschen mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne auszuschließen.
#2 Barrierefreiheit ist kein Geschäftsmodell.
Ich sehe das so: Barrierefreiheit ist keine business opportunity. Es ist das Mindeste, was wir tun können.
Wenn es mir einzig und allein darum geht, „eine neue Zielgruppe“ zu erreichen, habe ich die Aufgabe nicht verstanden. Die Verantwortung gegenüber anderen, wie Beate sie angesprochen hat, muss doch eigentlich die allerwichtigste Motivation sein.
Und ja, ich musste mich in die WCAG-Guidelines und das Thema generell auch erst einlesen. Ja, das dauert ein bisschen. Nein, das bezahlt dir niemand und nein, meine eigene Website ist sicher noch nicht perfekt. Aber wenn das Endergebnis von der ganzen Recherchearbeit ist, dass andere Menschen sich besser zurechtfinden, sich weder ausgeschlossen fühlen noch frustriert sind – dann ist es mir das wert.
#3 Feedback hilft!
Ich versuche, diese Website so zugänglich wie möglich zu halten. Was nicht heißen muss, dass mir das immer gelingt. Man kann gute Absichten und trotzdem blinde Flecken haben. Deshalb: Schreib mir gerne, falls dir auf dieser Website irgendetwas im Weg gestanden ist. Ich gebe mir Mühe, es besser zu machen.
Und wie es jetzt weitergeht, das entscheidest du:
Brauchst du Hilfe bei Texten?
Dann lass uns gemeinsam schauen, wie wir deine Web- oder Werbetexte zugänglicher machen können.
Brauchst du Hilfe in Sachen UX?
Dann melde dich am besten direkt bei Beate!